Im Gespräch mit dem Autor: Liebe ist…

Josef Bur­ri stu­dier­te in Tübin­gen und Frei­burg (Schweiz) Theo­lo­gie, Phi­lo­so­phie und Musik­wis­sen­schaft. Er schloss sei­ne Stu­di­en mit einer Dis­ser­ta­ti­on unter dem Titel « ‹Als Mann und Frau schuf er sie› – Dif­fe­renz der Geschlech­ter aus moral- und prak­tisch-theo­lo­gi­scher Sicht» ab. Danach arbei­te­te er wäh­rend sei­ner gan­zen beruf­li­chen Lauf­bahn als Publi­zist und Redak­ti­ons­lei­ter. Zwi­schen 2012 und 2018 betreu­te er im Vor­stand des Ver­eins schwu​len​ge​schich​te​.ch eine umfang­rei­che Web­site zur Geschich­te der homo­se­xu­el­len Män­ner in der Schweiz. Dabei begann er, sich mit der Flucht von gleich­ge­schlecht­lich lie­ben­den Frau­en und Män­nern aus der Schweiz und in die Schweiz zu befassen.


Flucht von Homo­se­xu­el­len und Theo­lo­gie: Wor­in besteht der Zusammenhang?

Das hängt mit der gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on von Homo­se­xu­el­len zusam­men. Homo­se­xu­el­le wur­den und wer­den in Län­dern ver­folgt, die stark von den mono­the­isti­schen Reli­gio­nen geprägt sind. Also lag die Fra­ge nahe: Stimmt es, dass Bibel und Koran die gleich­ge­schlecht­li­che Lie­be ablehnen?

Und was ist die Ant­wort darauf?

Etwas ver­ein­facht gesagt: Weder die Bibel noch der Koran ken­nen eine ableh­nen­de Hal­tung zur Homo­se­xua­li­tät, im Gegen­satz zu dem, was vie­le Men­schen den­ken und behaup­ten. Wir begeg­nen im Alten wie im Neu­en Testa­ment gleich­ge­schlecht­lich lie­ben­den Paa­ren. Die Sexua­li­tät erscheint als ein Geschenk Got­tes. Die enge Bin­dung zwi­schen zwei Men­schen, die sich lie­ben, ist von Anfang an Teil der Schöpfung.

Aber im alt­te­sta­ment­li­chen Buch Levi­ti­cus lesen wir, dass gleich­ge­schlecht­li­cher Sex ein todes­wür­di­ges Ver­ge­hen gegen Gott ist!

Es steht viel in der Bibel, was angeb­lich Gott miss­fällt, bei­spiels­wei­se der Genuss von Blut­wür­sten oder das Sam­meln von Holz am Schab­bat. Das Ver­bot von Anal­sex zwi­schen Män­nern im Buch Levi­ti­cus stammt wahr­schein­lich aus der zoro­a­stri­schen Reli­gi­on. Die­sem impor­tier­ten Ein­zel­ge­bot ste­hen vie­le ande­re Gebo­te und Ver­bo­te gegen­über wie die Näch­sten­lie­be oder das Tötungsverbot.

Sol­che Aus­sa­gen wie im Buch Levi­ti­cus sind doch längst überholt?

Über­holt ja, aber lei­der in gewis­sen Län­dern noch immer sehr wirk­sam. In Ugan­da zum Bei­spiel wer­ben christ­li­che Pre­di­ger mit der Bibel in der Hand für die Todes­stra­fe an Homo­se­xu­el­len. Man­che Leu­te glau­ben ihnen und grei­fen zur Selbst­ju­stiz. Homo­se­xu­el­le wer­den ver­folgt, dis­kri­mi­niert, auch kör­per­lich ange­grif­fen und schwer miss­han­delt. Eini­ge star­ben an den Fol­gen der Verletzungen.

Wie kam es zu der fol­gen­schwe­ren Abwer­tung gleich­ge­schlecht­li­cher Liebe?

Die Sexua­li­tät ganz all­ge­mein geriet in Ver­ruf, so etwa ab dem drit­ten Jahr­hun­dert nach Chri­stus. Im vier­ten Jahr­hun­dert wur­de das Chri­sten­tum im römi­schen Reich zur Staats­re­li­gi­on. Sie ent­wickel­te sich zu einem Herr­schafts­in­stru­ment von reli­giö­sen und poli­ti­schen Füh­rern. Aus der «Reli­gi­on der Lie­be» wur­de eine Ideo­lo­gie der Het­ze und des Has­ses auf Aus­sen­sei­ter wie Homo­se­xu­el­le, Juden und Heiden.

Und die Sün­den von Sodom und Gomor­ra wur­den den Homo­se­xu­el­len in die Schu­he geschoben?

Rich­tig. Die Geschich­te und das Bild von Sodom und Gomor­ra erschei­nen sowohl im Alten wie im Neu­en Testa­ment recht häu­fig, aber nie in Zusam­men­hang mit gleich­ge­schlecht­li­cher Lie­be. Es waren die homo­pho­ben Ideo­lo­gen ab dem drit­ten Jahr­hun­dert, die aus Sodom und Gomor­ra eine Ange­le­gen­heit der Homo­se­xu­el­len machten.

Dar­an hat sich offen­bar bis heu­te nicht viel ver­än­dert. Oder gibt es ande­re Grün­de, war­um Homo­se­xu­el­le ihre Hei­mat ver­las­sen und flüchten?

Homo­se­xu­el­le und Trans-Men­schen sind noch immer Opfer, Sün­den­böcke und Prü­gel­kna­ben von Poli­ti­kern und Reli­gi­ons­füh­rern. In Afri­ka het­zen vor allem christ­li­che Pfingst­kir­chen gegen Schwu­le und Les­ben. In mus­li­mi­schen Län­dern machen Tugend­ter­ro­ri­sten des Islams den Homo­se­xu­el­len das Leben zur Höl­le. In frü­he­ren Jahr­hun­der­ten war es bei uns nicht anders. Die Homo­pho­bie hier­zu­lan­de ver­an­lass­te bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein Schwei­zer und Schwei­ze­rin­nen, eine neue Hei­mat zu suchen, weil sie hier ver­folgt, aus­ge­grenzt und bestraft wurden.

Was möch­test Du mit Dei­nem Buch erreichen?

Wir müs­sen auf­hö­ren, gleich­ge­schlecht­lich lie­ben­de Men­schen in die Sün­der­ecke zu stel­len. In allen den zahl­rei­chen Gesprä­chen mit homo­se­xu­el­len Flücht­lin­gen habe ich die see­li­schen Ver­let­zun­gen gespürt, die auf­grund einer ideo­lo­gi­schen und dif­fa­mie­ren­den Aus­le­gung von Bibel- und Koran­tex­ten ent­stan­den sind. Es ist Zeit für eine Aus­le­ge­ord­nung des­sen, was uns Bibel und Koran zur Lie­be sagen. Die Ver­ach­tung von gleich­ge­schlecht­li­cher Lie­be ist eine Schand­tat. Ein angli­ka­ni­scher Bischof in Ugan­da brach­te es in einem Inter­view auf den Punkt: Gott ist ein Gott der Lie­be für alle Men­schen, gleich wel­cher sexu­el­len Ori­en­tie­rung oder Identität.

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