Leseprobe aus der Einleitung

Die Äch­tung, Ver­fol­gung und Bestra­fung von Homo­se­xu­el­len aus reli­giö­sen Grün­den ist kei­ne Ange­le­gen­heit der Ver­gan­gen­heit. Sexu­el­le Aus­sen­sei­ter erle­ben noch immer Mob­bing, Belä­sti­gung, Gewalt und Dis­kri­mi­nie­rung, oft mit Ver­weis auf Bibel und Koran und mit histo­ri­schen Bezü­gen auf reli­giö­se Vor­ur­tei­le. Christ­li­che Fun­da­men­ta­li­sten beru­fen sich auf die Bibel, wenn gleich­ge­schlecht­lich Lie­ben­de auf glei­che Rech­te wie die gegen­ge­schlecht­lich Lie­ben­den pochen. Die Ver­fol­gung von Homo­se­xu­el­len durch mus­li­mi­sche Tugend­ter­ro­ri­sten gehört zum tri­sten All­tag in mus­li­mi­schen Län­dern und schwappt immer wie­der auch auf west­li­che Demo­kra­tien über. Noch immer lei­den Ange­hö­ri­ge sexu­el­ler Min­der­hei­ten welt­weit dar­un­ter, dass ihre sexu­el­le Iden­ti­tät und Ori­en­tie­rung im bes­se­ren Fall negiert und im schlech­te­ren Fall als Vor­wand für Dis­kri­mi­nie­rung und Bestra­fung genom­men wer­den. Ugan­da kann­te bis 1950 eine rela­tiv brei­te Tole­ranz gegen­über Homo­se­xu­el­len. Unter dem Ein­fluss von christ­li­chen Fun­da­men­ta­li­sten und der Angli­ka­ni­schen Kir­che von Ugan­da, von oppor­tu­ni­sti­schen Poli­ti­kern und der Sen­sa­ti­ons­pres­se setz­te in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten eine Hetz­jagd auf Homo­se­xu­el­le ein. Gewalt­tä­ti­ge Über­fäl­le auf mög­li­che Homo­se­xu­el­le pas­sier­ten von nun an regel­mäs­sig. Der Lynch­ju­stiz fiel eine Rei­he von Per­so­nen zum Opfer. Eini­ge kamen mit dem Schrecken davon. Die Mör­der füh­len sich im Recht, da sie glau­ben, im Namen Got­tes zu han­deln. «Die Bibel und der Koran leh­ren uns, dass Homo­se­xua­li­tät Sün­de ist», lässt sich ein ugan­di­scher Par­la­men­ta­ri­er, der sich für die Todes­stra­fe von Homo­se­xu­el­len ein­setzt, zitie­ren. Ugan­da sei eine «got­tes­fürch­ti­ge Nati­on»; des­halb sei­en dra­ko­ni­sche Geset­ze gegen Homo­se­xu­el­le gerecht­fer­tigt, meint der Parlamentarier.

Im mit­tel­ame­ri­ka­ni­schen Land Jamai­ka, wo selbst Händ­chen­hal­ten unter Män­nern geäch­tet ist, besteht ein rigo­ro­ses, von den eng­li­schen Kolo­ni­al­her­ren ein­ge­führ­tes Gesetz gegen jeg­li­che Form von gleich­ge­schlecht­li­chen Lie­bes­be­zeu­gun­gen, angeb­lich um das Land vor kul­tu­rel­ler Über­frem­dung zu schüt­zen und um christ­li­che Wer­te zu bewah­ren (rund zwei Drit­tel der Bewoh­ner gehö­ren einer pro­te­stan­ti­schen Kir­che an). In Wirk­lich­keit wur­de die Bevöl­ke­rung in ein hete­ro­nor­ma­ti­ves Kon­zept der Repro­duk­ti­on hin­ein­ge­zwun­gen, um Skla­ven und Skla­vin­nen und spä­ter Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen für die Kolo­nie und anschlies­send den jamai­ka­ni­schen Staat sicher­zu­stel­len. Sodom und Gomor­ra ste­hen als Meta­pher für ein Unter­gangs­sze­na­rio, wor­in der Bevöl­ke­rung des Lan­des Erd­be­ben und Bru­der­mord ange­droht wer­den, wenn sie wei­ter­hin im sün­di­gen Sumpf ver­har­re. Die gesell­schaft­li­che Äch­tung von Schwu­len ist des­halb noch immer mas­siv und bedroh­lich für alle Betrof­fe­nen. Lie­der ver­herr­li­chen die Ver­bren­nung und Ermor­dung von Schwu­len. Typisch für Jamai­ka sind auch die Ver­leum­dung von angeb­lich schwu­len Poli­ti­kern und die flä­chen­decken­de Ver­brei­tung von Homo­pho­bie in den öko­no­misch schwä­che­ren Schich­ten der Gesell­schaft. Hass auf Homo­se­xu­el­le wird durch die römisch-katho­li­sche Kir­che sowie durch Frei­kir­chen und Sek­ten geschürt.

Sala­fi­sten bal­lern welt­weit und mit gro­bem Geschütz gegen Homo­se­xu­el­le und wün­schen mit Bezug auf isla­mi­sches gött­li­ches Gesetz deren Tod. In den Jah­ren 2015 bis 2018 töte­ten Mache­ten schwin­gen­de Isla­mi­sten in Ban­gla­desch min­de­stens 50 Men­schen, angeb­li­che «Fein­de des Islam», unter ihnen Akti­vi­sten der Gay-Sze­ne. Kein ein­zi­ger der Täter wur­de ver­haf­tet und ver­ur­teilt. Ganz gene­rell hat sich in die­ser Zeit die Situa­ti­on für LGBT-Men­schen in mus­li­mi­schen Län­dern erheb­lich ver­schlech­tert. Aus Angst vor Repres­si­on und Gefähr­dung an Leib und Leben tau­chen Betrof­fe­ne in den Unter­grund ab oder ver­las­sen ihr Land.

Der römisch-katho­li­sche Chu­rer Bischof Vitus Huon­der begrün­de­te 2015 sei­ne Ableh­nung homo­se­xu­el­ler Part­ner­schaf­ten mit einem Bibel-Zitat, das die Todes­stra­fe für gleich­ge­schlecht­li­chen Sex zwi­schen Män­nern postu­lie­re. Was hat sich die­ser Kle­ri­ker in einer ver­ant­wor­tungs­vol­len Posi­ti­on wohl dabei gedacht? Wahr­schein­lich nichts.

Mit­un­ter kommt die biblisch begrün­de­te Homo­pho­bie mit bru­ta­ler Här­te, manch­mal mit ein­schmei­cheln­den Wor­ten daher. Ein «christ­li­ches» Kna­ben-Col­lege in Bang­kok warb noch im Jah­re 2018 mit einer Ver­an­stal­tung, auf der the­ma­ti­siert wer­den soll­te, wie Jugend­li­che vor «sexu­el­ler Abwei­chung» geschützt wer­den kön­nen. So als ob die sexu­el­le Ori­en­tie­rung eines Men­schen durch die rich­ti­gen päd­ago­gi­schen Mass­nah­men «auf­zu­glei­sen» wäre. Akti­vi­sten aus dem Kreis der LGBT-Men­schen mach­ten zurecht dar­auf auf­merk­sam, dass der Begriff «sexu­el­le Abwei­chung» die betrof­fe­nen Men­schen stig­ma­ti­sie­re, ihr Selbst­wert­ge­fühl unter­mi­nie­re und letz­ten Endes eine sub­ti­le Form von Gewalt gegen sie dar­stel­le. Reli­giö­se Schu­len schei­nen welt­weit einen Dis­kri­mi­nie­rungs­kurs gegen homo­se­xu­el­le Schü­le­rin­nen und Schü­ler und Lehr­per­so­nen zu fah­ren. So pro­te­stier­ten 2018 man­che Bür­ge­rin­nen und Bür­ger Austra­li­ens gegen sexu­el­le Dis­kri­mi­nie­rung an reli­giö­sen Schu­len und ver­lang­ten einen gesetz­li­chen Diskriminierungsschutz.

Es sind vor allem auch reli­giö­se Fun­da­men­ta­li­sten, die für sich die Mei­nungs­frei­heit rekla­mie­ren und ihren Glau­ben ohne staat­li­che Ein­grif­fe leben wol­len, gleich­zei­tig aber mit angeb­li­chen und unver­stan­de­nen Bibel-Zita­ten den Homo­se­xu­el­len die Höl­le andro­hen und das Feu­er des Has­ses schüren.

Im Namen des christ­li­chen Got­tes und des isla­mi­schen Allah müs­sen noch heu­te gleich­ge­schlecht­lich Lie­ben­de lei­den und ster­ben. Reli­gi­ons­ver­tre­ter wol­len Homo­se­xu­el­len den Zugang zu bestimm­ten Beru­fen und Ämtern ver­weh­ren. Wer in einer ein­ge­tra­ge­nen Part­ner­schaft lebt, läuft in der Römisch-katho­li­schen Kir­che Gefahr, sei­ne Arbeit zu ver­lie­ren. Hat der Schöp­fer­gott das tat­säch­lich so gewollt? Wer kann sich anmas­sen, im Namen Got­tes den Rich­ter zu spie­len? Was sagen Bibel und Koran wirk­lich zum The­ma, und in wel­chen Inter­pre­ta­ti­ons­ho­ri­zon­ten bewe­gen wir uns durch die Zei­ten? Für Men­schen, die sexu­ell «anders» ticken, aber ihrem Glau­ben und ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gung treu blei­ben wol­len, sind sol­che Fra­gen von grund­le­gen­der Bedeu­tung und füh­ren zu wei­te­ren Fra­gen: Was sagen Bibel und Koran über die Befrei­ung von benach­tei­lig­ten und unter­drück­ten Men­schen­grup­pen? Wie kön­nen Homo­se­xu­el­le und Trans-Men­schen als Chri­sten oder Mus­li­me ihre Spi­ri­tua­li­tät leben und ent­fal­ten? Und war­um gras­siert die Seu­che der Homo­pho­bie fast aus­schliess­lich in den soge­nann­ten Buch­re­li­gio­nen, die sich alle auf Abra­ham und auf eine gemein­sa­me Schrift­tra­di­ti­on beru­fen: Juden­tum, Chri­sten­tum, Islam?